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Ich lernte Onkel Aelred im Jahre 1956
kennen, nachdem ich eine alte Dame in Bedford besucht hatte, die
bemerkte, daß Sillem ein seltener Name sei und sie einen Bruder Aelred
Sillem in Quarr kannte. Sie gab mir seine Adresse und ich schrieb ihm.
Er sollte mir ein teurer Freund und Vertrauter werden. Ich war erst 16,
als wir uns in einem Benediktinerkloster in Royston, Hertfordshire,
trafen, das inzwischen längst geschlossen wurde.
Harold
Frederick Sillem wurde am 29. Oktober 1908 in Deal, Kent, geboren. Sein
Vater war Steuart Augustus Sillem (1866-1950), ein Anwalt. Seine Mutter
war Marie Benson (1862-1937). Er war ihr vierter und jüngster Sohn. Er
besuchte Downside, ein katholisches Internat in Somerset, und ging nach
Oxford, um Geschichte zu studieren, wobei er zweimal mit Auszeichnung
abschloß. Er war außergewöhnlich begabt, und hätte, wie ich hörte, ein
hervorragender Historiker werden können. Danach unterrichtete er eine
Zeitlang in Downside und entschloß sich dann, in das Kloster
einzutreten. Er entschied sich dagegen, für den Rest seines Lebens
Schullehrer zu bleiben, und verfügte sich in das Kloster von Quarr auf
der Isle of Wight. Quarr gehört zur Kongregation der französischen
Benediktiner mit dem Haupthaus in Solesnes, die das Schwergewicht auf
Kontemplation legt. Er nahm den kirchlichen Namen Aelred an, nach dem
Heiligen, der in Rievaulx in North Yorkshire ein Zisterzienserkloster
gegründet hatte.
Zu
der Zeit, als ich ihn kennenlernte, war er Prior von Quarr geworden,
wozu er ihn der damalige Abt ernannt hatte. Im Antlitz war er meiner
Tante Joyce sehr ähnlich, der Schwester meines Adoptivvaters. Mein
Großvater und Dom Alraeds Vater waren Brüder, weswegen ich ihn als
meinen Onkel bezeichnete. Er gehörte der älteren Generation an, und in
jenen Tagen zeigten junge Menschen noch Respekt vor den Älteren.
Später, in den 50er Jahren, starb der Abt, und dem Brauch gemäß wurde
ein neuer gewählt. Ich erinnere mich noch gut an den Brief, den er mir
damals schickte, in dem es hieß: "Meine verrückten Brüder haben mich
zum Abt gewählt". Er sollte diese Position 35 Jahre lang innehaben,
wobei er alle 6 Jahre wiedergewählt wurde.
Als
Abt konzentrierte er sich auf die spirituelle Entwicklung seiner
Brüder, anstatt sich dem Ausbau der Gebäude, der Einrichtung eines
Gästehauses usw. zu widmen, der seitdem erfolgte. Er ernannte Dom
Joseph Warrilow zum Prior, der etwa zur selben Zeit wie er in das
Kloster eingetreten war. Dieser war ebenfalls ein liebenswerter Mensch;
es gibt eine Biographie über ihn. Leider bewahrte Dom Aelred keine
seiner Ansprachen an die Mönche und seiner Predigten auf. Alles, was
ich habe, ist eine Sammlung von Briefen, die eher persönlicher Natur
sind als Informationen für ein Buch liefern würden. Ich hätte gern mehr
über ihn geschrieben, aber in vielerlei Hinsicht war er ein sehr
zurückhaltender Mensch. Manchen erschien er sehr distanziert, aber ich
habe ihn niemals so empfunden.
In den späten 70er Jahren fand
in Durham eine Zusammenkunft von benediktinischen Äbten und Äbtissinnen
statt. Zum Schluß wurden sie zur Teilnahme an einem Vespergottesdienst
in der Kathedrale eingeladen, bei dem Br. Aelred, die Mitra auf dem
Haupte, der Hauptprediger war. Ich muß sagen, daß ich sehr stolz auf
ihn war. Er führte mich durch die Kathedrale und wußte alles über ihre
Geschichte, obwohl er nie zuvor dort gewesen war.
Gegen Ende der
80er Jahre erkrankte er leider an Kehlkopfkrebs, und seine Brüder
mußten schließlich seinen Rücktritt als Abt akzeptieren. Als neuer Abt
wurde Dom Leo Avery erwählt, ein früherer Luftfahrtingenieur und
ebenfalls eine hervorragende Persönlichkeit. Zu dem Zeitpunkt
beabsichtigte Dom Aelred, Quarr zu verlassen und in ein Kloster in
Frankreich zu ziehen, um dem neuen Abt nicht im Wege zu stehen. Er
sprach fließend Französisch und Deutsch, aber im Jahre 1990 forderte
die Krankheit ihren Tribut, und er war nicht in der Lage, ins Ausland
zu ziehen. Bei dem Begräbnis sagte Abt Leo, daß sie glücklich waren,
diese zusätzliche Zeit mit ihm verbracht zu haben, da sie ihm so zeigen
konnte, wie sehr die Gemeinde ihn liebte und für sein Wohl Sorge tragen
wollte. Er selbst schien sich der hohen Meinung, die alle von ihm
hatten, gar nicht bewußt gewesen zu sein.
Er
starb im Mai 1994, nachdem er sich in den letzten vier Tagen seines
Lebens weder bewegt noch gesprochen hatte. Vielleicht hatte seine Seele
den Körper bereits vorher verlassen. Das Begräbnis fand am 19. Mai 1994
statt, dem Feiertag einiger frühchristlicher Heiliger. Für mich war es
ein trauriger Tag, fast so schwerwiegend wie der Verlust meines Sohnes.
Er war 40 Jahre lang die beständigste Bezugsperson in meinem Leben, und
ich vermisse seine Weisheit und seine Freundlichkeit bis heute.
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